Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

#013 Die Flutkatastrophe im Juli 2021

Die Bilder und Geschichten aus dem Ahrtahl und den anderen von den Fluten zerstörten Gebieten bewegen uns alle. Die zerstörerische Kraft des Wassers konnte vor allem auch durch die landschaftlichen Gegebenheiten in katastrophaler Art und Weise wirken. 

In der Meteorologie können wir keine Aussage darüber treffen, wie der Regen durch die Täler abfließt – dafür braucht es die Hydrologie. Aber wir können die gefallenen Regenmengen einordnen und über die Hintergründe berichten. Das wollen wir mit diesem Bericht versuchen.

Waren die Niederschläge besonders stark?

Um diese Frage zu beantworten, betrachten wir ein Gebiet in Mitteleuropa zwischen 48°-52°N und 4°-8°O, welches während des Hochwassers Mitte Juli besonders stark getroffen war. Diese Region umfasst Teile Westdeutschlands (Rheinland-Pfalz, Saarland, Nordrhein-Westfalen), Ostfrankreich (Grand Est) und die Benelux-Länder.

In diesem Gebiet berechnen wir nun den gemittelten täglichen Niederschlag und vergleichen ihn mit den Daten aus dem Zeitraum von 1979 bis 2021. Das Ergebnis wird in Abbildung 1 durch die täglichen blauen Balken dargestellt. Um den gefallenen Regen in Relation zu den Vorjahren zu setzen, sind auch hell- und dunkelgelbe Linien eingezeichnet. Diese zeigen die klimatologischen 95%- bzw. 99%-Perzentile der täglichen Niederschlagssumme an. So besagt z.B. ein 99%-Perzentil, dass in 99 von 100 Fällen der Tagesniederschlag unter diesem Wert lag. Die schwarze Linie gibt ein durchschnittliches Regenereignis an.

Gebiet, in dem der Niederschlag 2021 mit der Klimatologe verglichen wird.
Abbildung 1: Der durchschnittliche Tagesniederschlag 2021 im Gebiet 48-52N und 4-8O ist in blauen Balken dargestellt (linke y-Achse; 2021 daily). Der entsprechende klimatologische Mittelwert (1979-2019) des geglätteten täglichen Niederschlags wird durch die schwarze Linie dargestellt (clim daily mean). Die hell- und dunkelgelben Linien zeigen die klimatologischen 95- bzw. 99-Perzentil-Jahresniederschlagszyklen (95/99 pctl) . Schließlich zeigen die durchgezogenen und gestrichelten grünen Linien (rechte y-Achse) den jährlichen aufsummierten Niederschlag für 2021 bzw. die Klimatologie (Clim total). Die grüne Schattierung deckt den Bereich von +/-1 Standardabweichung um den klimatologischen mittleren kumulativen Jahresniederschlag ab.

Richten wir den Blick nun auf den Zeitraum vom 12. bis 14. Juli 2021, so sehen wir, dass dort außergewöhnliche Niederschlagsmengen aufgetreten sind. Der gefallene Regen liegt dabei an den ersten beiden Tagen weit über dem 99%-Perzentil – ein extremes Ereignis also. Selbst der dritte Tag liegt noch über dem 95%-Perzentil. Daher wundert es nicht, dass zahlreiche Flüsse und Bäche nicht nur über die Ufer getreten sind, sondern förmlich durch die Täler gewalzt sind. Häuser, Brücken, Straßen und weitere Infrastruktur wurden zerstört, der Wiederaufbau wird wohl Jahre dauern.

Aber nicht nur der Niederschlag am 12. bis 14. Juli 2021 spielte eine Rolle bei diesem verheerenden Ereignis, sondern auch die Tatsache, dass die erste Jahreshälfte vor dieser Episode deutlich feuchter war als normal. Das wird in Abbildung 1 durch die dicke grüne Kurve verdeutlicht, welche den aufsummierten Jahresniederschlag zeigt. Im Vergleich dazu gibt die grüne gestrichelte Kurve das klimatologische Mittel des Jahresniederschlags und der grün gefärbte Bereich die durchschnittliche Abweichung an. Über das bisherige Jahr 2021 lag also der Niederschlag meist deutlich über dem langjährigen Mittelwert. Vor allem der Zeitraum ab Mitte Juni brachte einen großen Teil des Niederschlagsüberschusses.

Abbildung 2: Jahresniederschlag 2021 (rot) an der Wetterstation der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Vergleich zu den Jahren 2009 bis 2020.

Auch ein Blick auf die Niederschlagsdaten der Wetterstation am Institut für Physik der Atmosphäre der Universität Mainz, am östlichen Rand des oben betrachteten Gebiets gelegen, zeigt den nassen Charakter des Jahres 2021. Obwohl die Daten hier nur bis 2009 zurückgehen, so sieht man deutlich den Unterschied zu anderen Jahren. Glücklicherweise wurde Rheinhessen von den extremen Niederschlägen im Zeitraum 12.-14. Juli verschont, aber auch hier sieht man die vielen Niederschlagsereignisse („Treppenstufen“) ab Mitte Juni. 

Was war der Grund für die vielen Regengebiete?

Die Untersuchung der Entwicklung grundlegender meteorologischer Felder der oberen Luftschichten im Zeitraum von Mitte Juni bis Mitte Juli 2021 kann Aufschluss über die wetterbedingten Ursachen der katastrophalen Überschwemmungen Mitte Juli geben. Abbildung 3 zeigt die Entwicklung der Anomalie der geopotentiellen Höhe (definiert als die Abweichung von einem geglätteten Jahreszyklus) und des Windes auf einer Höhe von etwa 5,5 km. Dabei stellt jede „Briefmarke“ einen Tag dar, beginnend mit dem 16.6. links oben bis zum 15.7. rechts unten. In jeder „Briefmarke“ wird der Bereich von Grönland im Westen bis Russland im Osten gezeigt. Eine negative Anomalie (blau) stellt dabei ein Tiefdruckgebiet dar, eine positive Anomalie (rot) kennzeichnet ein Hochdruckgebiet. Die Entwicklung dieser Felder zeigt, dass im fraglichen Zeitraum ein anhaltendes Hochdrucksystem über Nordosteuropa lag, während eine Reihe von Tiefdruckgebieten über den Nordatlantik in Richtung Westeuropa zog (Abb. 3). Diese Tiefdruckgebiete brachten dann regelmäßig Niederschlag in unser betrachtetes Gebiet, so dass die Böden dort mit Wasser gesättigt waren. Am Schluss dieser Periode kamen die außergewöhnlich intensiven Niederschläge in Zusammenhang mit dem Tief „Bernd“, welches sich kaum von der Stelle bewegte – mit den fatalen Folgen.

Abbildung 3: Entwicklung der täglichen mittleren Anomalie der geopotentiellen Höhe (schattierte Konturen) und des Windes (Stromlinien) bei 500hPa zwischen dem 16. Juni und 15. Juli 2021.

Wie sah der Rest der Nordhemisphäre aus?

Bemerkenswert ist, dass ein großer Teil der nördlichen Hemisphäre von anomalen Wetterlagen in diesem Zeitraum betroffen war. Abbildung 4 zeigt die mittlere Abweichung der geopotentiellen Höhe und das Windfeld auf einer Höhe von etwa 5,5 km im Zeitraum vom 16. Juni bis 15. Juli. Diese Abbildung ist ähnlich zur Abbildung 3, nur dass hier die Abweichungen über 30 Tage gemittelt wurden. Die vorherrschenden Strömungsmuster, die diese 30-Tage-Mittelung „überleben“, deuten darauf hin, dass die großräumige Zirkulation in diesem Zeitraum eine wiederkehrende Komponente hatte. In dieser 30-Tage-Perspektive scheint Nordosteuropa unter dem Einfluss einer blockierenden Wetterlage zu stehen, die in Finnland und Russland Rekordtemperaturen zum Ergebnis hatten, während in Westeuropa im Mittel über diesen Zeitraum tiefer Druck herrschte, der zu der oben erwähnten Niederschlagsepisode führt. Ein weiteres vorherrschendes Muster in diesem Zeitraum war der ausgeprägte hohe Druck über dem westlichen Nordamerika, der zu einer rekordverdächtigen und tödlichen Hitzewelle führte. 

Abbildung 4: Mittlere Anomalie der geopotentiellen Höhe (schattierte Konturen) und Wind (Stromlinien) bei 500hPa zwischen dem 16. Juni und 15. Juli 2021.

Obwohl die Mechanismen, die solche Wettererscheinungen antreiben, noch nicht gänzlich verstanden sind, erscheint es plausibel, dass die Einzelereignisse im Sommer 2021 auf der nördlichen Hemisphäre nicht isoliert, sondern durch die Wellenbewegung des Strahlstroms (Jetstream) über tausende Kilometer und Tage hinweg miteinander verbunden sind. 

Immer stärker werdende Extremereignisse werden auch durch die Klimamodelle vorhergesagt. In welchem Maße nun genau der Klimawandel an einem Einzelereignis wie der Flutkatastrophe beteiligt ist, kann nur durch die sogenannte Attributionsforschung geklärt werden.

Datengrundlage

Dieser Bericht verwendet gerasterte Daten aus der globalen ERA5-Reanalyse des ECMWF. Die stündlichen Niederschlagsdaten werden auf einem horizontalen Gitter von 1°x1° für den Zeitraum vom 1.1.1979 bis zum 25.7.2021 abgerufen. Standardfelder der oberen Luftschicht (Wind, Geopotential) werden auf einem horizontalen 2°x2°-Gitter und mit einer zeitlichen Auflösung von 6 Stunden für denselben Zeitraum abgerufen.

Eine „wissenschaftlichere“ Version dieses Textes auf Englisch ist hier zu finden: #012 Meteorological evolution of the July 2021 central European floods