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#009 Wie funktioniert Wissenschaft

Von der Idee zum Paper (c) Joachim Fallmann

In den Medien hört man Dinge wie: ‚Die Wissenschaft ist sich einig‘ oder ‚Studien haben gezeigt, dass…‘. Die Politik beruft sich bei ihren Entscheidungen z.B. in Bezug auf Klimawandel auf Aussagen des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change) – oder sollte das zumindest tun. Aber was bedeuten diese Aussagen? Wie kommt eine Idee im Kopf eines, oder vieler Wissenschaftler aufs Papier und wie entstehen somit belastbare wissenschaftliche Aussagen? Dieser Beitrag beleuchtet den Prozess der Entstehung einer wissenschaftlichen Arbeit von der Bleistiftskizze zum fertigen Beitrag in einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Dieser Prozess wird als ‚Peer Review‘ bezeichnet.

Doch wie schafft es nun das Ergebnis vom Labor in die Bibliothek? Kommen wir dafür wieder zum Begriff ‚Peer Review‘. Hat man ein Ergebnis gefunden und genau untersucht ob es aussagekräftig ist, kein Zufall ist (reproduzierbar ist), es noch nicht bereits existiert und für das Forschungsfeld relevant ist, sucht man sich in seinem Feld ein wissenschaftliches Journal in dem man alles in einem Artikel veröffentlichen kann – dafür benutzt man oft auch das Wort „Paper“. Im besten Fall arbeitet man mit anderen Wissenschaftlern zusammen mit denen man die Ideen des Papers umsetzt und gemeinsam die Qualität sicherstellt. Zusammen mit diesen Ko-Autoren kann man sich nun an ein wissenschaftliches Journal – bzw. an dessen Editor wenden und das Manuskript zur Veröffentlichung vorschlagen. Befindet der Editor die Arbeit als interessant und passend für das Thema der Zeitschrift wird der Artikel an 2-3 unabhängige Forscher in demselben Themenbereich geschickt, welche dann einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung haben um die Qualität der Arbeit zu bewerten. Auf die Meinung dieser Reviewer (welche das übrigens ohne Bezahlung tun) stützt sich dann später die Entscheidung des Editors den Artikel zu veröffentlichen. Neben dem Editor werden die Anmerkungen der Reviewer natürlich auch an die Autoren geschickt – welche wiederrum ca. einen Monat Zeit haben ihre Arbeit dahingehend zu verändern/anzupassen.

Die Einschätzungen der Reviewer werden in verschiedene Kategorien eingeteilt. Ist die Idee soweit interessant und die Studie plausibel, aber bestehen dabei noch schwerwiegende Fehler oder Verständnisprobleme wird das Manuskript in der Kategorie ‚major revisions‘ zurückgesendet – der Autor wird dazu aufgefordert den Artikel zu überarbeiten und sich gegenüber der Reviewer zu rechtfertigen. Die Arbeit zirkuliert dann so lange hin und her bis alle Fehler beseitigt sind. Wird das Paper im Vorfeld schon als unzureichend bewertet, wird es zurückgewiesen –  ‚rejected‘. Bei kleinen Mängeln spricht man von ‚minor revisions‘. Kann ein Paper-Entwurf über einen bestimmten Zeitraum zusätzlich öffentlich diskutiert werden, spricht man von einem ‚Discussion Paper‘. In einem Journal das atmosphärische und chemische Zusammenhänge der Atmosphäre untersucht (ACP) zum Beispiel ist das über einen definierten Zeitraum möglich, und interessierte Experten können dann auf deren Homepage Kommentare zu einzelnen Teilen hinterlassen. Das sieht für einen Artikel über den Einfluss der Waldbrände in Australien vom Januar 2020 auf die chemische Zusammensetzung der Stratosphäre über Chile dann z.B. folgendermaßen aus:

https://acp.copernicus.org/articles/20/8003/2020/acp-20-8003-2020-discussion.html

Reviewer haben hier entweder anonym oder nicht, öffentlich Anmerkungen zu einzelnen Punkten gemacht, welche dann von einem der Autoren beantwortet wurden. Dies schliesst häufig auch die 2-3 von der Zeitschrift eingeholten Expertenreviews mit ein. Dieser Prozess des Hin-und Herzirkulierens bis hin zur endgültigen Veröffentlichung kann sich schon mal bis zu einem Jahr hinziehen – je nach Zeitschrift. Wenn man bedenkt, dass die gängige Projektlaufzeit eines wissenschaftlichen Projektes in der Regel 2-3 Jahre umfasst – zum Großteil haben Wissenschaftler eben keine unbefristeten Stellen und müssen sich nach dem Ablauf um neue Finanzierung kümmern – erscheint ein Jahr für eine Veröffentlichung in diesem Zusammenhang als absurd lang. Bevor diese Studie aber von jedem gelesen werden kann sind noch einige Schritte notwendig. Jede Zeitschrift wird von einem Verlag getragen, welchen man für den Druck und die Veröffentlichung bezahlen muss – in der Regel 1000-1500 Euro. Meistens jedoch ist dann der Artikel nur für diejenigen Gruppen verfügbar, welche über ein Abonnement der Zeitschrift verfügen (wissenschaftliche Institutionen haben solch eine Lizenz in der Regel). Alle anderen müssen eine sog. Embargo Periode abwarten (2-5 Jahre) – danach ist der Artikel frei verfügbar. Will man diese Periode für die potentielle Leserschaft umgehen, ist die sog. Open Access Gebühr (ca. 2000-3000 Euro) fällig. Die Open Access Journale werden immer beliebter, da die eigene Arbeit eine viel größere Öffentlichkeit bekommt und nicht hinter Bezahlschranken landet. Je öfter nun Arbeiten in einer Zeitschrift von anderen Autoren zitiert werden, umso höher steigt auch der sog. Impact Factor, also die Bedeutung der Zeitung in der Fachwelt. Darüber hinaus ist natürlich auch die Anzahl der Zitierungen des Artikels für die Autoren selbst sehr wichtig. Dazu gibt es verschiedene Metriken, wie z.B. den sog. Hirsch – oder h-Faktor. Einfach ausgedrückt bezeichnet der h-Faktor die Anzahl n Zitationen des n-ten Papers. Angenommen ein Autor hat 5 Paper von denen das erste 17-mal, das zweite 10-mal, das Dritte 5-mal, das vierte 4-mal und das Fünfte, einmal zitiert wurde, hat er/sie einen h-Faktor von 4. Anders ausgedrückt: Hat ein/e Wissenschaftler/in eine h-Faktor von 10, bedeutet dies, dass er oder sie mindestens 10 Paper veröffentlicht hat, die mindestens 10 mal zitiert wurden. Der h-Faktor ist somit ein möglicher Parameter für das Ranking von Wissenschaftlern. Wenn man in den Medien nun den Satz hört: ‚Wissenschaftler haben herausgefunden, dass…‘, stützt sich diese Aussage meistens auf Personenkreise die in Ihrem Gebiet schon viele Veröffentlichungen vorzuweisen haben. Die Stärke der Wissenschaft ist dabei auch, durch stetiges Hinterfragen sich selbst einem Review zu unterziehen und vielleicht auch mal mit neuen Erkenntnissen aus neuen Datengrundlagen vormalige Aussagen zu korrigieren. Übrigens lassen sich etwaige Gegenargumente vermeintlicher Experten oftmals dadurch entkräften einfach zu schauen ob diese in der Community gut bekannt sind – also z.B. bereits viele Veröffentlichungen haben.