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#006 Die Welt in der wir leben: Das Stadtklima (Teil 1)

[…] sobald ich der schweren Luft von Rom mit seinen stinkenden Schornsteinen entkommen war […] spürte ich eine Veränderung in meiner Stimmung. (Seneca, AD 61)

In den dicht bebauten Gebieten der Metropolis ist durch die Bevölkerung und durch das Heizen die Temperatur erhöht […] die Umgebung muss ebenfalls entsprechend davon betroffen sein (Howard L. 1833: The Climate of London.)

[..] im Jahre 2050 werden mehr als 70% der Menschen auf der Welt in Städten leben (Vereinte Nationen)

Die Erde bei Nacht aus dem All aufgenommen von den Satelliten SUOMI NPP und VIIRS (NASA -https://earthobservatory.nasa.gov/images/79765/night-lights-2012-map

So wie Seneca und Howard ihrer Zeit hat es jeder bestimmt schon einmal selber erfahren: Man verlässt am Abend die Stadt, und sobald man in die ländliche Umgebung kommt wird die Luft merklich kühler. Vergleichbar mit einem schwarzen T-Shirt, das sich in der Sonne erwärmt, erwärmen sich auch die städtischen Oberflächen im Laufe eines Tages, je nachdem wie ‚dunkel‘ sie sind. Ca. 23 % der Fläche von Deutschland sind versiegelt und bestehen aus Siedlungs- und Verkehrsflächen, das entspricht 49.819 Quadratkilometer (UBA 2018). Täglich werden ca. 58 Hektar neu ausgewiesen – ungefähr so viel wie 82 Fußballfelder. Die Städte in Deutschland mit der stärksten Versieglung haben Werte von fast 50%. Immer wenn eine Fläche bebaut wird, gehen ihre natürlichen Eigenschaften verloren, Flüssigkeiten und Gase können nicht mehr zwischen Boden und Atmosphäre ausgetauscht werden. Niederschlag fliest oberflächlich ab, es fehlt eine kühlende und schützende Pflanzendecke und die Oberfläche heizt sich auf.  Um die Prozesse dahinter zu verstehen, müssen wir einen kleinen Ausflug in die Strahlungsphysik machen. 

Die Wirkung von Strahlung auf verschiedene Oberflächen © Joachim Fallmann

‚Dunkel‘ hat in diesem Fall nicht unbedingt etwas mit der Farbe zu tun, sondern mit der Beschaffenheit des Materials und seiner Fähigkeit Wärme zu speichern oder abzugeben. Das Verhältnis zwischen zugeführter Wärme und tatsächlicher Temperaturerhöhung bezeichnet man als Wärmekapazität. Elektromagnetische Strahlung also Sonnenstrahlung enthält Energie. Je mehr Strahlung ein Gegenstand absorbieren kann, desto mehr Energie kann er speichern. Da wir aus dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik gelernt haben, dass Energie nicht einfach verloren gehen kann, also die innere Energie eines Systems konstant ist, muss diese Energie demnach in andere Energieformen umgewandelt werden, z.B. in Wärme. Nach dem Gesetz von Stefan- Boltzmann (experimentelle Entdeckung 1879 durch Josef Stefan, Ableitung des Strahlungsgesetzes 1884 durch Ludwig Boltzmann ) ist die abgestrahlte Energie von einem Körper wiederum abhängig von dessen Temperatur. Das Kirchhoffsche Strahlungsgesetz (Gustav Robert Kirchhoff 1859) wiederum beschreibt den Zusammenhang zwischen Absorption (Aufnahme) und Emission (Abgabe) eines realen Körpers im thermischen Gleichgewicht. Es besagt, dass Strahlungsabsorption und -emission bei gegebener Wellenlänge (Sonnenlicht) einander entsprechen: Ein Körper, der gut absorbiert, strahlt auch gut. Ein dunkles T-Shirt zum Beispiel absorbiert viel mehr Strahlung und speichert dadurch viel mehr Energie als ein helles. Bei gleichen Bedingungen wird es dort wärmer als bei einem weißen Kleidungsstück. Ist ein Körper dagegen hell, hat er ein hohes Reflexionsvermögen. Diese Eigenschaft, auch die Albedo genannt, bewirkt, dass die Energie schon vorab am Körper reflektiert wird und nicht mehr für eine Erwärmung zur Verfügung steht. Übrigens hat Stahl in Verbindung mit Beton – die am meisten verbreitete Gebäudestruktur in Städten eine besonders hohe Wärmespeicherfähigkeit. 

Die negative Auswirkung einer falschen Bauweise zeigt ein Bauprojekt in London. Die parabol-förmige Glasfassade eines besonders futuristischen Hochhauses reflektierte einkommende Sonnenstrahlung und fokussierte sie wie eine Linse auf den angrenzenden Parkplatz, welcher sich dadurch ebenfalls stark aufheizte. Die Folge waren geschmolzene Autoreifen und Fahrradsättel (https://www.dailymail.co.uk/news/article-2786723/London-skyscraper-Walkie-Talkie-melted-cars-reflecting-sunlight-fitted-shading.html).

Wenn nun also eine natürliche Fläche versiegelt wird, z.B. eine Wiese einem Parkplatz weichen muss verändern sich die Strahlungseigenschaften der Oberfläche. Der Parkplatz, wie oben erklärt, erwärmt sich aufgrund seiner thermischen Eigenschaften stärker und gibt diese Wärme an die über ihm liegende Atmosphäre ab. Niederschlag, der den Boden potentiell kühlen könnte, fliest vorher ab, da er keinen Platz zum Versickern hat. Selbst wenn die Sonne untergegangen ist, kann der Boden die Wärme noch über die Nacht hindurch speichern und langsam an die Luft abgeben, bis es mit Sonnenaufgang zu einer abermaligen Erwärmung kommt. Natürlicher Boden dagegen kann bei Niederschlag in seinen Poren Wasser einlagern – er hat eine gute Retentionseigenschaft. Dieses Wasser kann wiederum zusätzlich Wärme aufnehmen. Somit muss sich der Boden selbst nicht erwärmen um dem Energieerhaltungssatz zu folgen. Durch Verdunstung kühlt sich ein bewachsener Boden außerdem praktisch selbst. Ein Teil der Strahlungs-Energie wird von Pflanzen zur Photosynthese benutzt, dieser Anteil wird somit der Erwärmung der Luft „entzogen“. Durch Transpiration kühlen bewachsene Freiflächen im Umland stärker aus als städtische Flächen, in denen zusätzlich die Wärme auch noch innerhalb der Straßenschluchten ‚festgehalten‘ wird. Nächtliche Abkühlung der Luft führt dazu, dass der Temperaturunterschied zwischen bebaut- und unbebaut, oder Stadt und Umland dort besonders groß ist. Wieso ist das so?

Die Verdunstung – also die Abgabe von Wasser an Pflanzen erfolgt durch kleine Öffnungen, den Stomata. Auf der linken Seite sieht man ein Bild von einem Tomatenblatt durch ein Elektronenmikroskop mit einer 5000-fachen Vergrößerung.

© Photohound [Public domain]

Dabei geht diese Abgabe leichter, je geringer die Luftfeuchte über der Blattoberseite ist, also je weniger die Luft gesättigt ist. Ist der Unterschied im Wasserdampf zwischen Blattoberseite und Luft also besonders groß, erfolgt ein nach oben gerichteter Feuchtefluss, bis Sättigung eintritt. Dann wird die Transpiration langsam aufhören. Die Natur ist nämlich immer bestrebt Ungleichgewichte auszugleichen. Wind kann diesen Wasserdampf abtransportieren und die Pflanze kann wieder Feuchte abgeben, dabei kühlt sich die Oberfläche ab. Das ist übrigens auch der Grund wieso sich nasse Haut im Wind kühl anfühlt. Die feuchte Luft wird abtransportiert, die ’neue Luft‘ nimmt wieder Feuchte von der Oberfläche auf, diese Aufnahme benötigt Energie, diese fehlende Energie spüren wir als Kühle. Wenn die Temperatur direkt an den Blattoberseiten oder Grashalmen bei nächtlicher Abkühlung unter den Taupunkt fällt nehmen wir das als Tau war. Kühlt die Luft in den unteren Schichten merklich ab, kommt es zur Ausbildung von Nebel.

Eine Stadt hat aber noch weitere Eigenschaften die dazu führen, dass sie sich stärker erwärmt als ihr Umland. Zum einen kann die Luft aufgrund von vielen Hindernissen (Gebäuden) schlecht zirkulieren und bleibt bei schlechter Durchlüftung in Straßenschluchten gefangen. Man sagt hier auch, dass die erhöhte Bodenrauhigkeit den Austauschkoeffizienten der Atmosphäre verringert. Wenn man außerdem durch eine dichte Rand-Bebauung verhindert, dass kühlere Luft von außen heranströmen kann oder diesen Luftstrom durch eine ungünstige Ausrichtung von Straßen blockiert, wird diese Ansammlung von Wärme zusätzlich verstärkt. Durch seinen Stoffwechsel setzt jeder Mensch ebenfalls Energie um, der sogenannte Metabolismus. Zusammen mit Verkehr und Gebäuden tragen wir also durch unsere Aktivitäten ebenfalls aktiv zur Erwärmung bei, man nennt das den anthropogenen Wärmefluss. Beobachtet man nun eine Stadt von oben und im Seitenprofil, wird deutlich, dass die Erwärmung durch diese Faktoren zu einer räumlichen Abgrenzung zu ihrer Umgebung führt, die sogenannte städtische Wärmeinsel ist geboren.

Skizze von 2m-Lufttemperatur im Querschnitt (links) sowie von oben (rechts sind Linien gleicher Wärmeinsel-Intensität gezeigt) (c) Joachim Fallmann

Abhängig von ihrer Morphologie (also Gestalt oder Form), können sich auch innerhalb einer Stadt kleinere Wärmeinseln ausprägen. Gebiete mit gleicher Temperatur kann man mit Linien darstellen, die man Isotherme nennt. Im rechten oberen Bild sind diese Isolinien allerdings als Gebiete gleicher Temperatur-Differenz zwischen Stadt und Umland skizziert. Je nach Größe, Struktur oder Bevölkerungsdichte kann sich das Muster unterscheiden. Im Mittel liegen Temperaturunterschiede zwischen Stadt-und Umland bei 1-3°C, können für einige Städte und unter bestimmten meteorologischen Bedingungen (Windstille) sogar 10-15°C betragen. Wie sich Grünflächen auf die Temperatur auswirken zeigt ein Blick aus dem All. Zu sehen sind hier zwei nachträglich eingefärbte Infrarotaufnahmen (sog. Falschfarben-Bilder) des NASA Satelliten Landsat 7 –ETM+ von New York. Auf der linken Seite wird so die Vegetation sichtbar und auf dem rechten Bild erscheinen Flächen umso heller, je wärmer die Oberfläche ist. Wer findet auf dem Bild den Central Park?

Vegetation (links) und Temperatur (rechts) in New York City dargestellt als Infrarot Satellitenbild. Für dichte Vegetation erscheint das Bild dunkler. © NASA [Public domain]

Wir gehen nun von der Fläche in die Höhe. Die Wärme sammelt sich nicht nur am Boden, sondern auch in der Atmosphäre oberhalb der Stadt und kann je nach Windrichtung als ‚Wärmewolke‘ in die ländliche Umgebung transportiert werden. Wenn die warme städtische Luft dabei über das Kondensationsniveau steigt, können sich sogar Wolken bilden. Die Stadt hat somit das lokale Wetter verändert. In dieser städtischen Wolke können darüber hinaus auch die Schadstoffe transportiert werden, welche dann an einer anderen Stelle außerhalb der Stadt als Regen wieder ausgewaschen werden (dazu mehr in einem anderen Blog).

Die Höhe der Atmosphäre die gerade noch den Einfluss der Oberfläche spürt nennt man Grenzschicht. Im Falle der Stadt sprechen wir von der städtischen (oder urbane) atmosphärischen Grenzschicht. Geringere Temperaturen im Umland führen zu einer niedrigeren ländlichen Grenzschicht (LGS). Die Stadtatmosphäre kann man in unterschiedliche Schichten unterteilen, je nachdem wie stark die Oberflächeneigenschaft noch ‚spürbar‘, also im Vertikalprofil der Atmosphäre sichtbar ist. Oberhalb der Grenzschicht wirken die Bedingungen der freien Atmosphäre, welche bestimmt sind durch die Großwetterlage. Aufgrund der verschiedenen unterschiedlichen Strukturen können die Schichten innerhalb der Stadt unterschiedlich ausgeprägt sein. Verschiedene Prozesse spielen sich auf verschiedenen Bereichen, den sogenannten Skalen ab und wechselwirken zwischen diesen. Sie reichen von Verwirbelungen innerhalb einer Straße die beeinflusst werden von Gebäuden, Bäumen, Fahrzeugen und Personen über Quartiersebene mit einer Mischung verschiedener Flächennutzung (Gebäude, Parkplatz, Park etc.) bis hin zu den verschiedenen Nutzungsarten (Wohngebiet, Industriegebiet etc.). Nun erwärmt sich nicht nur die Luft oberhalb, sondern auch der Boden unterhalb der Oberfläche. Das führt dazu, dass die Temperatur des Grundwassers einer Stadt deutlich höher sein kann als im Umland, was auch negative Auswirkungen auf dessen Wasserqualität hat. Ob und wie diese überschüssige Wärme im Grundwasser zur Energieerzeugung genutzt werden kann wird momentan noch erforscht.

Verschiedene Skalen der städtischen Atmosphäre © Joachim Fallmann

Wie bereits erwähnt, hat die Meteorologie einen entscheidenden Einfluss wie stark die städtische Wärmeinsel ausgeprägt ist. Herrschen stabile Wetterlagen vor, also geringe Windgeschwindigkeiten, meistens verbunden mit einem Hochdruckgebiet ist der Luftaustausch in der städtischen Grenzschicht besonders reduziert, die warme Luft kann nicht abtransportiert werden und die Wärme bleibt besonders lang in der Stadt. Diese Situation wird oft als austauscharme Wetterlage bezeichnet. Genauso wie die Wärme können auch Schadstoffe durch Verkehr oder Industrie nicht abgeführt werden, was sich schlecht auf die Luftqualität auswirkt. So kann es passieren, dass sich die Schadstoffe aus dem Vortag noch gar nicht aufgelöst haben, wenn am nächsten Morgen die Menschen wieder ihrer Arbeit nachgehen und neue Schadstoffe ausstoßen. Das ist ein großes Problem für Städte, weshalb es in einigen Regionen in Deutschland speziell dafür eingerichteten Feinstaub oder SMOG Alarm gibt (doch dazu später mehr). Hier noch einmal die wichtigsten Unterschiede verschiedener Einflussgrößen (mittlere Differenz Stadt minus Umland):

  • Verringerte Albedo
  • UV-Strahlung -5% (Sommer) bis -30% (Winter) aufgrund von Luftverschmutzung
  • Sonnenscheindauer -10%
  • Lufttemperatur 2-3 °C im Mittel
  • Windgeschwindigkeit -20%
  • Luftfeuchte verringert
  • Weniger Nebel
  • Mehr Niederschlag (im Lee = Umland in Windrichtung)
  • Höhere Luftverschmutzung
  • Weniger Schnee und kürzere Frostperiode (bis -30%)
  • Vegetationsperiode bis zu 10 Tage länger
  • Aggressivere Pollen in Verbindung mit Hitze und Luftverschmutzung

Mit dem Klimawandel wird es auch in den Städten immer wärmer werden, also in den Orten wo die meisten Menschen leben. Wenn eine starke Erwärmung zu einer Belastung der menschlichen Gesundheit wird, spricht man auch vom Hitzestress. Wie ein Motor kann ein menschlicher Körper auch überhitzen, das ist gefährlich für den Kreislauf und belastet verstärkt alte Menschen und Säuglinge.  Dass die Gefahr der städtischen Wärmebelastung nicht zu unterschätzen ist, zeigt die Hitzewelle 2003 in Europa, die dort für ca. 70000 Todesfälle verantwortlich war. Ein anderer Effekt trat im gleichen Zeitraum auf der anderen Seite des Atlantiks auf. An der Ostküste der USA sorgte nämlich eine kurze Phase besonders hoher Temperaturen dafür, dass die Stromnetze dort innerhalb kürzester Zeit vollkommen überlastet waren. Am 14. August 2003 um 16:04 ging in New York City das Licht aus. In der Folge waren 55 Millionen Menschen im Osten der USA und Canadas ohne Strom – der größte Stromausfall der amerikanischen Geschichte (https://www.nytimes.com/2003/08/15/nyregion/blackout-2003-overview-power-surge-blacks-northeast-hitting-cities-8-states.html).

Wenn die globalen Temperaturen weiterhin in gleicher Geschwindigkeit ansteigen, ist bereits im Jahr 2040 damit zu rechnen, das ähnliche Hitzewellen jedes Jahr auftreten könnten (Stott, 2004 Nature). Deshalb muss die Stadtplanung der Zukunft unbedingt dafür sorgen, dass mehr Grün und weniger Beton in den Städten zu finden ist. Die Stadt der Zukunft muss widerstandsfähig gegenüber der starken Erwärmung sein um seinen Bewohnern auch in den kommenden Jahrzehnten einen angenehmen Aufenthalt zu gewährleisten. Außerdem wird prognostiziert, dass Starkregenereignisse in Zukunft noch stärker ausfallen. Was mit dem Wasser passiert, dass nicht mehr versickern kann, zeigen Bilder vergangener Hochwasserereignisse. Eine nachhaltige Stadtplanung muss also auch das beachten. Eine saubere Luft zählt ebenfalls zu den Faktoren einer lebenswerten Stadt – das wiederum erfordert einen unbedingten Paradigmenwechsel unseres Mobilitäts-Verhaltens und der Art und Weise in welcher Form öffentlicher Nahverkehr gefördert, angenommen wird und wie fahrradfreundlich eine Stadt ist. In der Stadtplanung gibt es viele Möglichkeiten für nachhaltige Gestaltung. Welche das sind und wo sie schon angewendet werden wird im nächsten Blog beschrieben.